„Ich habe dir ja gesagt, dass ich dir die ganze Welt zeigen möchte“, sagt Oma. Und wir haben uns schon viel gemeinsam angesehen. Orte, die wir zu Fuß mit dem Auto, der Bahn oder Fähre erreichen konnten. Heute habe ich eine interessante Geschichte aus Afrika in der Zeitung gelesen.
Ich zeig dir Afrika auf dem Globus. Afrika ist ein großer Kontinent – weit weg von uns. Wir müssten viele Stunden im Flugzeug sitzen, um dorthin zu kommen. Deshalb wollen wir nicht dahinfliegen. Das kannst du später, wenn du größer bis, ja machen.
Aber deine Gedanken können fliegen lernen. Und ich fliege in Gedanken mit dir.
Schließ die Augen. Stell dir vor, du setzt dich auf den Rücken eines starken, klugen Vogels. Und los geht’s. Über Flüsse, Täler, Berge, Meer, Wüste. Dein Vogel kennt den Weg ganz genau“ .
Nach einem schnellen Flug landet dein Vogel auf einem hohen Berg in Kenia, direkt neben einer Wasserquelle. Der Fluss dort oben heißt Mara. Genauso wie das Mädchen aus deiner Turngruppe. Du bist durstig und trinkst als erstes von dem Wasser.
„Dieser Fluss ist ganz wichtig für die Menschen, die hier leben“, sagt der Vogel. „Früher war meist genügend Wasser darin. Doch in letzter Zeit gab immer weniger Regen. Manchmal trocknet der Fluss ganz aus und zeigt nur noch sein steiniges Bett. Lass uns weiter fliegen zu den Dörfern, wo die Menschen leben.“
Die beiden fliegen über den kleinen Fluss, der langsam breiter und breiter wird.
Plötzlich entdecken sie Menschen am Fluss.
„Halt dich jetzt gut fest. Ich will auf dem hohen Baum am Ufer landen. Von dort können wir die Menschen gut beobachten.“
Du klammerst dich an deinen Vogel. Du weißt aber inzwischen, dass du dich auf ihn verlassen kannst.
Entspannt sitzt ihr hoch oben auf dem Baumwipfel und schaut hinunter.
Die Menschen sind gut gelaunt. Kinder spielen am Ufer und planschen im Wasser. Frauen waschen bunte Tücher im Fluss und lassen sie dann in der Sonne trocknen.
„Viele leben hier von der Viehzucht. Tiere und Menschen sind auf Wasser angewiesen“ erklärt der Vogel.
Hirten führen Kühe, Schafe und Ziegen an den Uferrand. Auch die Tiere haben ihren Spaß im Fluss. Sie scheinen sehr durstig zu sein. In der Hitze tut ihnen Wasser gut.
„Schau, der Fluss ist auch das Klo für die Tiere und Menschen“, meint der Vogel.
Du traust deinen Augen nicht. Tatsächlich landet viel Kot im Wasser und fließt den Fluss runter.
„Lass uns weiterziehen“, schlägst du vor.
Immer seltener seht ihr größere Wälder. „Die Bauern haben riesige Waldstücke abgeholzt. Sie brauchen Brennholz. Mit immer weniger Wald gibt es hier auch immer weniger Regen. Schau, hier ist der Fluss überhaupt nicht mehr schön“, sagt der Vogel.
Du siehst den Müll, der im trüben Wasser treibt. Viele Plastikflaschen, Kanister, Dreck, Abfall.
Hier möchtest du nicht baden.
„Den Fischen gefällt es in diesem Dreckswasser auch nicht mehr“, sagt der Vogel. Viele sind schon ausgestorben. Oft kommen die Fischer ohne Beute von ihren Angeltouren zurück. Sie wissen dann nicht, wie sie ihre Familien satt kriegen sollen.“
„Schau schnell nach unten. Dort ist eine Gruppe Zebras. Sind sie nicht schön? Siehst du auch die Gnus weiter hinten. Die verstehen sich gut mit den Zebras.
Früher gab es hier auch jede Menge Vögel, die ich in Deutschland noch nie gesehen habe. Viele sind anscheinend abgewandert. Hoffentlich sind sie nicht gestorben.“
„Jetzt nähern wir uns der Grenze von Tansania. Sieh die Frauen mit den großen Krügen auf dem Kopf. Sie kommen zum Fluss, um Wasser zu holen.“
„Haben die kein Wasser zu Hause“, fragst du erstaunt?
„Nein, sie müssen jeden Tropfen Wasser aus dem Fluss oder einem Brunnen holen.
Oft sind die Wege lang und so ein Wasserkrug schwer.
Trotzdem sind die Frauen meist gut gelaunt.
Sie kommen zusammen mit ihren Nachbarinnen und erzählen und lachen auf dem Weg.
Hörst du, wie schön sie singen?“
Du kannst gar nicht glauben, wie man bei so harter Arbeit noch fröhlich sein kann.
„Ja, es sind ganz besondere Menschen, die hier leben. Leider geht es vielen immer schlechter. Sie haben oft keine Arbeit. Und es wird immer dreckiger hier.“
„Kann man denn gar nichts dagegen tun?“, willst du wissen.
„Ja, Leo. Ich überlege auch, was man gegen die Verschmutzung tun könnte“, meint Oma. „Sie ist ja auf der ganzen Welt ein echtes Problem.“
Und da merkt Leo erst, dass er gar nicht in Afrika ist. Aber eines ist ihm jetzt klar: Seine Gedanken können wirklich fliegen.
„Oma, kannst du mich bald wieder nach Afrika fliegen lassen?“
„Klar. Es gibt in Afrika viel zu sehen.
Da können deine Gedanken noch öfter hinfliegen.
Und es gibt auch schon einige Vorschläge, wie Afrika wieder sauberer werden könnte.
Die Leute haben begonnen, wieder Bäume zu pflanzen.
Und Frauen lernen, wie sie das Wasser sauber halten können.
Vielleicht hilft das den Menschen. Hoffentlich.“
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2022/24